Judo-SV Definition

In diesem Kapitel finden Sie die verschiedensten Informationen zur Judo-Selbstverteidigung und der Abgrenzung zum bzw. Überführung in das Jiu-Jitsu. Vor allem für Judoka, die eine Jiu-Jitsu-Gruppe aufbauen wollen oder für Jiu-Jitsuka, die sich mit der Judo-Selbstverteidigung beschäftigen wollen, bietet dieses Kapitel viele Informationen.

Betrachtung der Judo-SV und der Versuch einer Differenzierung gegenüber dem Jiu-Jitsu

(zusammengestellt von Armin Haas, ehemaliges Vorstandsmitglied des Verbands)

Was versteht man eigentlich unter Judo-Selbstverteidigung (Judo-SV)?

Ralf Pöhler (Vizepräsident des DJB) führte in einem 1997 im Judo-Magazin erschienen Artikel folgendes aus:

  • "Die Entwicklung des Judo verweist auf eine erfolgreiche Hinwendung zum Sport und Pädagogik, in deren Verlauf der Aspekt einer ‚realistischen SV‘ zugunsten dieser beiden Ziele vernachlässigt wurde."
  • "Judo ist kein SV-System und soll es auch nicht werden, aber ..."
  • "Judotechniken können als Lösung bestimmter SV-Situationen verstanden werden...."

Darauf entgegnete Michael Hoffmann im Judo-Magazin in einem Leserbrief unter dem Titel "Judo – Eine unrealistische Selbstverteidigung" wie folgt:

"Kaum zu glauben war für mich, was Ralf Pöhler in seinem Artikel [...] alles schrieb. Seine erste Feststellung kann ich leider nur unterstreichen. Aber zu seinen weiteren beiden Feststellungen läßt sich jede Menge sagen: Wenn wir Judo nicht als Selbstverteidigungssystem betrachten und betrachten wollen, müssen wir aufhören, über SV im Zusammenhang mit Judo zu reden. Vereinzelte Situationen zu üben ist keine Selbstverteidigung. Werbung für Judo-SV mit einer solchen Auffassung dahinter ist Nepp und Bauernfängerei. Wenn man von SV spricht, muß auch SV dahinter sein. Und das Judo in seiner Gesamtheit kann dies auch leisten.

Man darf Judo nicht auf wettkampfrelevante Techniken reduzieren, wie von der neuen Prüfungsordnung geschehen. Für Kano Jigoro Shihan war alles, was die Prinzipien ‚Durch gegenseitiges Helfen zu beiderseitigen Wohlergehen‘ und ‚Möglichst wirksamer Gebrauch der körperlichen und geistigen Kräfte‘ erfüllte, Judo. Dies ist sicherlich mehr, als heute in Prüfungsordnungen zum Ausdruck kommt.

Andererseits ist bei vielen modernen Wettkampftechniken das letztere Prinzip mehr als fraglich. Desweiteren muß mit dem Irrglauben aufgeräumt werden, im Judo gäbe es keine Tritte und Schläge. Das Judo umfaßt neben Nage- und Katame-Waza auch Ate-Waza! Außerdem sind uns durch die Gestaltung der Goshin-jitsu-no-kata auch Techniken anderer Kampfkünste an die Hand gegeben.

Wir sollten im Bereich SV nicht scheuen zu tun, was im Wettkampf-Judo längst gemacht wird: Das Entlehnen und Anpassen von Techniken anderer Kampfkünste (z. B. Sambo) an unsere Anforderungen. Dann muß vielleicht bald ein DJB-Vizepräsident nicht mehr sagen ‚Judo eignet sich konsequenterweise nicht als realistische SV‘.[...]

Zum Schluß noch zu den Begriffen. Es wird Zeit, nicht mehr von Judo (im Sinn von Wettkampf-Judo) und Breitensport-Judo zu sprechen. Im Sinne der o. a. Prinzipien gibt es nur Judo oder ‚Nicht-Judo‘. Wettkampf ist nur ein ganz kleiner Teil des Judo."

Es ist wichtig festzustellen in welchem Zusammenhang von Judo-Selbstverteidigung gesprochen wird. Zum einen kann man unter Judo-Selbstverteidigung ein komplettes, realistisches und effektives Selbstverteidigungssystem verstehen. Zum anderen wird von Judo-Selbstverteidigung auch im Zusammenhang mit der neuen Ausbildungs- und Prüfungsordnung gesprochen, in deren Rahmen man anstelle der Komplexaufgabe judobezogene Selbstverteidigung demonstrieren kann. Wobei hier wiederum ein bestimmter Rahmen vorgegeben ist.

Diese Alternative zur Komplexaufgabe kann nie und nimmer ein komplettes SV-System abdecken und ist im offiziellen Rahmen der APO auch nicht angestrebt. Sie kann jedoch als Anregung zu einer Intensivierung des SV-Trainings in den Vereinen aufgefaßt werden. Dies führt jedoch dazu, dass der Rahmen und die Möglichkeiten der APO schnell zu klein wird. Man kommt nicht umhin sich dann mit der "erweiterten Judo-Selbstverteidigung" zu beschäftigen.

Der Begriff der "erweiterten Judo-Selbstverteidigung" bedeutet eigentlich nichts anderes als die Rückkehr zu den Wurzeln des Judo, zum "Kano-Judo" mit all seinen Möglichkeiten. Man kann sogar einen Schritt weitergehen, wenn man Adaptionen aus anderen Kampfsportarten mit einfließen läßt und die eigenen, im Judo zur Verfügung stehenden Techniken, SV-gerecht variiert. Dies ist dann das o. g. komplette, realistische und effektive SV-System, das nicht abgeschlossen ist, sondern einen ständigen Evolutionsprozeß durchmacht, so dass man anstelle des Begriffes der "erweiteterten Judo-Selbstverteidigung" auch Jiu-Jitsu setzen könnte.

Wenn im folgenden von der Judo-Selbstverteidigung gesprochen wird, handelt es sich um die Judo-SV innerhalb der APO.
Quellennachweis (auch für die folgenden Seiten zur Judo-SV):

  1. Pöhler/Schladt, "Judobezogene Selbstverteidigung", DJB-Schriftenreihe "Lehrwesen" Band 2, JSM, 1998
  2. Suppa/Pöhler,Podiwin, Judobezogen Selbstverteidigung, Begleitscript zum Video, Kessler, 1998
  3. Czerwenka-Wenkstetten, Kanon des Nippon Jujitsu Band 1, Tyrolia-Verlag Insbruck-Wien, 1993
  4. Beissner/Birod, Judo, Rowohlt, 1977
  5. Judo-Magazine 1997